Hinter den Kulissen mit Pferdeausbilderin Anne Krüger-Degener: "Ich habe mein ganzes Leben dabei"

Im Rahmen der Pferdemesse Eurocheval hatten wir Gelegenheit, Anne Krüger-Degener und ihre Tochter Carla zu begleiten. Anne Krüger-Degener ist ein regelrechter Tausendsassa: Pferdeausbilderin. Tiertrainerin mit eigener Hundeschule. Hunde- und Schafzüchterin. Landwirtin. Und vor allem Familienmensch. Während sie mit ihrer Tochter Carla in Offenburg bei der Eurocheval ist, hält Ehemann Jan zuhause auf dem 150 Jahre alten Hof im niedersächsischen Melle die Stellung. Den Hof betreibt die Familie inzwischen in 13. Generation.
Etwa jedes zweite Wochenende sind Anne und Carla on Tour. Vor wenigen Wochen haben sie beim CHIO Aachen ihre neue Show präsentiert, in der Annes Schafe eine bedeutende Rolle spielen. In Offenburg hatten indessen 20 Laufenten ihren großen Auftritt. Carla begleitet ihre Mutter seit ihrer Geburt zu den Shows. Schon früh half sie tatkräftig mit, reichte Gamaschen und Bandagen an, sechsjährig durfte sie erstmals zu Pferd teilnehmen. Mutter und Tochter sind ein eingespieltes Team. Bei der Vorbereitung bedarf es wenig Worte, jeder weiß genau, was zu tun ist. Nach dem Auftritt eine kurze Analyse. Anne Krüger-Degener gibt mehr als 100 Prozent. Sie wirft ihren gesamten Lebensinhalt in den Showring. Und ihr Herz. „Ich habe mein ganzes Leben dabei“, sagt sie und mit Blick auf ihre Tochter: „Da fließen schon mal die Tränen vor Stolz und Dankbarkeit.“ Das eigene Lebenswerk mit der Öffentlichkeit zu teilen, ihre Botschaften in die Welt zu tragen, erfüllt sie.

Mit Bindungstraining in die Glücksspirale
Trotz perfekter Vorbereitung, alles kann die Ausbilderin nicht planen. „Wir waren in Frankfurt, da kamen plötzlich drei Elefanten um die Ecke“, erzählt sie lachend. „Darauf waren wir nicht vorbereitet.“ Doch die Pferde der Familie sind so ausgebildet, dass sie selbst in solchen Ausnahmesituationen zuhören und bei ihren Menschen bleiben. Das Konzept beruht auf einem Bindungsprogramm, das jedes Pferd durchläuft. Starke Pfeiler: Raumverständnis. Sprachhygiene. Unendlich viel Liebe und Zuneigung. Annes wichtigstes Werkzeug: ihre Hände. „Wenn die Finger richtig schwarz sind, weil wir so viel gekrault haben, dann ist es gut“, sagt sie schmunzelnd. Fachmännisch ausgedrückt heißt das in ihrem Bindungsprogramm: Loben bis das Lob wirkt. Sprich, bis das Pferd deutlich zeigt, dass der Mensch die richtige Stelle gefunden hat, das Maul kräuselt sich, die Oberlippe bewegt sich spitz nach vorne. Das ist Bindungstraining. „Wir wollen die Komfortzone unserer Tiere sein und ihr Einverständnis für die Arbeit mit ihnen erhalten“, erklärt die Ausbilderin mit sanfter Stimme. Ihre Lehre der HarmoniLogie hat sie bereits in einigen Büchern niedergeschrieben. Das Ziel der Bindungsarbeit sei, dass die Pferde das Lob auch in schwierigen Situationen annehmen. Denn dann sei selbst die Begegnung mit großen grauen Dickhäutern ohne Fluchtversuch möglich. Aus diesem Grund üben Anne und Carla mit ihren Pferden nicht stumpf Lektionen, sondern vielmehr das Zuhören. „Wenn die Pferde uns jederzeit zuhören und sich bei uns wohlfühlen, bewegen wir uns in einer Glücksspirale.“ Gleiches gilt für die Hunde, die trotz lauter Geräuschkulisse während der Galashow ihre Aufmerksamkeit jede einzige Sekunde auf Anne richten. Sie verbindet ein unsichtbares Band aus Vertrauen, Respekt und Zuneigung.

Diese Glücksspirale dreht sich auch in Offenburg unaufhörlich. Schimmelwallach Socio aka Babylein steht im Halbschlaf am Eingang des Platzes und wartet auf seinen Einsatz. Ein genüssliches Gähnen. Nach einer kurzen Aufforderung trabt der 24-jährige Wallach locker und ohne Zäumung neben Carla her, die mit dem Fahrrad eine Runde durch die Bahn dreht. Abliegen, Sitzen, Kompliment – entspannter Alltag für den Schimmel. Immer wieder darf er ausgiebiges Kraulen seiner Carla genießen. Anschließend zeigen die beiden spielerisch Abrufen und Folgen. Carla dreht sich weg, sofort kommt Babylein hinter ihr her. Als wolle er sagen: Kraul mich weiter. Anne lässt mit Hilfe ihrer Border Collies einige Laufenten unter Babyleins Bauch hindurch watscheln. Die Zuschauer am Rand können die Zuneigung und Harmonie zwischen Mensch und Tier spüren. Nach jeder Aufgabe bedanken sich Carla und Anne bei ihren Vierbeinern mit innigen Streicheleinheiten.
Neben Babylein ist auch der 12-jährige Fürstenball-Sohn Fürstenkind nach Offenburg gereist. Er ist mit Carla im Viereck erfolgreich bis zur schweren Klasse. Seine erste Show absolvierte er mit gerade mal drei Jahren. „Jedes unserer Pferde wird frei gearbeitet, bevor es im Sport geht“, sagt Anne. Durch die enge Bindung zum Menschen werden die Pferde belastbarer, resilienter. Das wirkt sich positiv auf ihre Leistung aus. „Das Hauptbedürfnis der Pferde ist Bindung, es ist ein extremes Grundbedürfnis“, erklärt die Ausbilderin. „Unser Anspruch ist es, dies so gut wie möglich zu erfüllen.“

Stärken stärken, Schwächen schwächen
Außer den Pferden sind in Offenburg sechs Border Collies, Havaneser Whiskey, Labrador James Bond und 20 Laufenten dabei. Jedes Tier wird entsprechend seiner Stärken eingesetzt. „Stärken stärken, Schwächen schwächen“, so das Credo. „Die Laufenten laufen gerne, das dürfen sie in der Show. Außerdem sind sie immer in der Gruppe unterwegs, das gibt ihnen Sicherheit. In einer anderen Show sind Walliser Bergziegen dabei. Sie lieben es zu springen. In der Show springen sie daher mit Freude auf das Dach eines Landrovers. Davon sind sie so begeistert, dass ich aufpassen muss, dass sie nicht versehentlich auf andere Autos springen“, erzählt Anne Krüger-Degener und lacht. Für die neue Show in Aachen hatte sie zunächst 30 Schafe aus ihrer Herde ausgewählt. Nach und nach reduzierte sie die Gruppe auf 20 Tiere. Jene, die nicht genügend Kondition hatten, wurden beispielsweise rausgenommen. „Ich stelle immer sicher, dass die Tiere keinen Stress haben und alles für sie machbar ist“, betont sie. Deshalb reisen auch meist junge Pferde mit zu den Shows, damit sie das Ambiente zunächst ohne Belastung erleben und sich daran gewöhnen können. Trotz jahrelanger, bei Anne gar jahrzehntelanger Erfahrung, vor so einer großen Kulisse wie dem CHIO pocht das Herz dann doch schneller. „Das war nochmal ein anderer Puls“, gibt Carla ehrlich zu.

Abseits des Rampenlichts genießen Mutter und Tochter die Arbeit auf ihrem idyllischen Hof mit den Pferden, insbesondere die Ausbildung junger Dressurpferde. Auch schwierige oder angeblich nicht reitbare Pferde finden immer wieder den Weg auf ihren Hof in Melle nahe Osnabrück. „Ich mag die Abwechslung zwischen Show und Sport“, sagt Carla. Die 20-Jährige hat ihr Abitur in der Tasche und beginnt demnächst ein Studium in Osnabrück, um später den Hof ihrer Eltern übernehmen zu können. Nach vier Tagen, zwei Galashows, einigen Trainingsvorführungen, Präsentationen und Autogrammstunden geht es für Anne und Carla zurück nach Hause. Die nächsten Aufgaben warten. Unter anderem steht auf dem Degenerhof ein Lehrgang zur Kommunikation und Bindung mit dem Pferd an. Schließlich möchte Anne Krüger-Degener auch von zuhause aus ihr Wissen in die Welt tragen. (Text: Maria Jürgens, Fotos: Doris Matthaes)
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